THE ART:IST ist eine digitale Plattform und ein Thinktank für einen neuen Blick auf Kunst, Kunstgeschichte und die Zukunft der Kunst in Bezug auf Intersektionalität, Diversität und Dekolonisierung. Gegründet von Maxi Broecking.
Portrait William Pope. L: Peyton Fulford
Bekannt geworden mit der Performance-Serie Crawls" seit den 1970er Jahren, thematisiert der Dramaturg, Dichter und Künstler William Pope. L in satirisch überspitzten Performances, Installationen, Schriften und Zeichnungen strukturelle Diskriminierung marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht und Klasse. Seine Arbeiten erzeugen Unbehagen und Scham. Für den Berliner Schinkel Pavillon hat Pope. L seine Installations-Performance "Contraption" konzipiert - ein Begriff, der für eine Maschine oder ein Gerät steht, das unnötig kompliziert erscheint und oft schlecht gebaut oder unsicher ist. Diese, vorgeblich nach einer simplen Bauzeichnung von Pope. L gestaltete, raumgreifende Maschine schreddert Architektur-Holzmodelle, welche dem Schinkel Pavillon, dem Humboldtforum und der Neuen Wache nachempfunden sind, während die Besucher*innen aus dem Fenster parallel die Originalbauten sehen können, die für die imperiale, koloniale Machtästhetik Preußens und des deutschen Kaiserreiches stehen. Gebaut in einer Zeit, in der, parallel zu kolonialer Unterdrückung und eines konstruierten Herrschaftsanspruchs, die Gedanken des Humanismus entwickelt wurden. Gleichzeitig interagieren Schauspieler*innen nach einem vorgegebenen Handlungsablauf, angelehnt an die Kurzgeschichte "Forlesen" des SciFi-Autors Gene Wolfe, mit der Maschine und lesen Pope. Ls Gedicht „Between a Figure and a Letter“ vor: Von „Zuwanderungsideen, herausgekrochen aus dem Arsch der Zeitgenossen“ und vom „dozentiellen“ (Kofferwort aus Dozent und essentiell) Gehabe und der „kalkulierten Ignoranz“ der „Schinkelianer“.
17. September 2024
Es wird früh dunkel in diesen Tagen und bereits um halb acht fühlt es sich an, als würde man mitten in der Nacht durch die Stadt spazieren. So auch am Mittwoch, dem Beginn der Berlin Art Week, dem alljährlichen herbstlichen Kunstfest in der Stadt, mit Eröffnungen, Performances und Artist Talks. Wohin bei der Fülle der Möglichkeiten?
Zuerst zum Martin-Gropius-Bau, zur Eröffnung der Ausstellung „Das Glück ist nicht immer lustig“, einer Werkübersicht des 1961 geborenen thailändischen, in Bangkok, New York und Berlin lebenden Künstlers Rirkrit Tiravanija. Der Titel stammt aus dem Fassbinder-Film „Angst essen Seele auf“, auf den er sich seit seinen ersten Ausstellungen in den 1990er Jahren immer wieder bezieht. Doch erst mal überhaupt hineinkommen. Eine lange Schlange Wartender zieht sich die Straße entlang. Die Stimmung ist dennoch ausgelassen.
Innen angekommen stehen im Lichthof Tischtennisplatten aus seiner Serie „untitled 2013 (morgen ist die frage)“, ebenfalls einem Satz aus Fassbinders Film, eine Hommage an die „Ping Pong Society“ des slowakischen Künstlers Július Koller von 1970, der das Publikum aufforderte, mitzuspielen. Weitere Schlangen stehen für die Thaigerichte an, die – eine Grundform von Tiranijas künstlerischer Praxis – an die Besucher*innen ausgegeben werden, um über das Ritual des gemeinsamen Essens die Angst vor dem Fremden zu überwinden. In den oberen Ausstellungsräumen sind weitere Arbeiten seit seinen Anfängen 1987 zu sehen, darunter ein Selbstportrait in Form von drei Dosen mit verschiedenen Thai-Currypasten (untitled 1992 (Red, Yellow, Green Curry)) in einem Glaskasten, ein Verweis auf die in Museen in Vitrinen ausgestellten Buddha-Statuen, herausgelöst aus ihren kulturellen Zusammenhängen.
Am Freitagabend strömen die Besucher*innen durch den Regen in die Akademie der Künste am Pariser Platz, wo die Künstlerin und Architekturfotografin Candida Höfer mit dem Käthe-Kollwitz-Preis ausgezeichnet wurde. In zwei großen Räumen sind Arbeiten aus einer neueren Werkserie zu sehen, die ihre großformatigen Raumportraits zeigen, darunter die Komische Oper Berlin und die Neue Nationalgalerie. Gut gefüllt ist es auch in der Galerie Sprüth Magers in der Oranienburger Straße, die erstmals die 1992 in Indien entstandene mehrteilige Serie „Ahmedabad“ des 2020 verstorbenen Konzeptkünstlers John Baldessari zeigt, in der er Malerei, Fotografie und die von ortsansässigen Künstler*innen bemalten Schmutzfänger von Rikschas zu skulpturalen Arbeiten zusammenfügte.
Doch neben der Kunst ist es auch das letzte Wochenende des diesjährigen Musikfests, das Komponist*innen des amerikanischen Kontinents gewidmet war. An diesem strahlenden Herbstsonntag ist zur Matinee der Kammermusiksaal beinahe leer, obwohl das großartige Ensemble Modern auftritt, die den in den 1920er Jahren in New York entstandenen Werken der Komponistin Ruth Crawford Seeger eine Konzertserie widmeten. Überraschend melodisch und spielerisch wirken Crawford Seegers Dekonstruktionen der musikalischen Form.
Ein Genuss sind auch die virtuosen Interpret*innen des Ensembles, die, über den Zuschauerraum verteilt, durch ein dezentriertes Raumgefühl Hörgewohnheiten hinterfragen. Nach einem kurzen Spaziergang über das Kulturforum, vorbei an der Baustelle für das gerade entstehende Museum der Moderne, wirkt die Ansicht der Neuen Nationalgalerie wie eine Übersetzung der Fotografien von Candida Höfer in die Dreidimensionalität, neu gesehen aus ihrem Blickwinkel. Doch nicht wie bei Höfer menschenleer. Im Gegenteil, immer noch – oder wieder? Schlangen vor dem Eingang. Für ein Fest der Kunst.
19. Mai 2024
Ein Pfingstsonntag voller Möglichkeiten. Die Sonne scheint mitten auf das Bett, ein Strauß Pfingstrosen leuchtet aus der Vase daneben. Zuerst das Gesicht in die Sonnenstrahlen strecken, dann gemütlich ein wenig herumtrödeln, Kaffee trinken und den Hund an dieser knuddelig weichen Stelle hinter den Ohren streicheln. Die Welt kann doch so schön sein.
Ein Ausflug in den Grunewald ist jetzt genau das Richtige. Die Bäume erheben sich wie eine Kathedrale aus Grün über dem mit Kiefernzapfen bedeckten Boden. Es ist, ungewöhnlich für sonntags, kaum jemand unterwegs.
Aber es ist Pfingstsonntag, und vielleicht ist Berlin ja plötzlich ganz leer und alle sind weggefahren. Am See wird es dann etwas voller, Hunde tauchen nach ihrem Spielzeug und ein paar Ästen, andere trauen sich nicht so recht und strecken nur kurz eine Pfote ins Wasser. Nach der Seeumrundung und einer Erkundung des „Fitness-Pfades“ über sanft knackenden Zweigen geht es zurück in das heimatliche Kreuzberg. Für den Nachmittag könnte ein Spaziergang zum Umzug des Karnevals der Kulturen doch ganz nett sein.
Doch schon die gestresste U-Bahn-Ansage, die Station Mehringdamm sei gesperrt, Gneisenaustraße auch und Südstern müsse man gar nicht erst versuchen, lässt nicht wirklich vermuten, Berlin sei plötzlich ganz leer. Tatsächlich ist in die bereits überfüllten Waggons kein Hineinkommen möglich und eine größere Ansammlung gemischter Altersgruppen staut sich auf dem Bahnsteig.
Also laufen. Ein Spaziergang den Mehringdamm hinunter, buntes Treiben allerorten, fröhliche, erwartungsvolle Stimmung. Es tröpfelt mittlerweile ein bisschen, aber das wird schon gleich aufhören. An der Yorck- und Gneisenaustraße herrscht großer Andrang, eine wogende Menge säumt die Bordkanten, Kinder sitzen auf Schultern oder stehen erhöht auf Absperrungen, es wird geklatscht, gejauchzt und fotografiert.
Aus den geöffneten Fenstern lehnen sich Anwohner*innen hinaus und winken. Vor den Spätis sind Caipirinha-Bars aufgebaut und in Plastikbechern wird Aperol Spritz gemischt. Die ersten Gruppen kommen vorbei, auf Stelzen und in bunten Kostümen wird ausgelassen gefeiert. Der Wagen der Ukraine ist mit Sonnenblumen geschmückt, Rollschuhläufer*innen feiern queere Vielfalt und die Clowns und Einradfahrer*innen streuen Konfetti. Mittlerweile regnet es stärker und die ersten spannen Schirme auf, was in der Enge des Zusammengedrängtseins nicht bei allen gut ankommt.
Mittlerweile wird zunehmend Erschöpfung spürbar und es scheint immer noch voller zu werden. Der spontane Versuch digitaler Kommunikation scheitert. Der nächste Sendemast ist überfordert, der Empfang schwächelt oder bricht einfach ganz ab. Und mit der Lautstärke ist sowieso nichts zu verstehen. Macht nichts, dann erst mal in die nächste Seitenstraße.
Am unteren Ende der Bergmannstraße sitzen nach dem Regen Familien bei Limonade und Eis an kleinen Tischen, weiter vorne am Marheinkeplatz haben die Stände vom sonntäglichen Flohmarkt noch geöffnet, und Spaziergänger*innen schlendern entspannt an den Auslagen entlang. Zwischen Markthalle und Mehringdamm nimmt die Dichte an Karnevalsbesucher*innen dann erneut zu, die, jetzt durstig und hungrig aus den Seitenstraßen kommend, auf Plätze warten.
Den Mehringdamm wieder hochspazierend kommen mir Frauen in Kostümen entgegen, die offenbar schnell zu ihrem Auftritt müssen, aber die U-Bahn-Stationen sind ja wegen Überfüllung gesperrt. Aus dem Gedränge heraus klingt der Tag in der Abendsonne langsam aus. So ein entspannter Pfingstsonntag, einfach schön.
Maxi Broecking (* 1969 in Berlin) ist als Journalistin für Die Zeit, Der Tagesspiegel, Taz, Kunstzeitung, Fono Forum, Jazz Thing, RBB und Byte FM sowie THE:ARTIST zu den Themen Jazz, Improvisierte Musik und Zeitgenössische Kunst tätig. Ihre Jazzkolumne für Die Zeit war für den Grimme Online Award nominiert. Für die Columbia University, New York, war sie Referentin für das Symposium "Jazz in the Global Imagination: Music, Journalism and Culture" sowie Referentin für die internationalen Konferenzen „Lost in Diversity – A Transatlantic Dialogue“ und „Vision, Perception, Friction: How Jazz became Art and Attacked“ am Heidelberg Center for American Studies, Heidelberg. 2013 stellte Broecking der Berlin Improvisation Research Group BIRG ihre Forschung über Jazz, Improvisierte Musik und Kunst vor. Maxi Broecking ist Mit-Gründerin und Inhaberin des Broecking Verlags | Creative People Books. 2021 moderierte sie das Intersektionalitätspodium „Macht und Identität“ im Nationaltheater Mannheim. Seit 2021 ist sie Kuratorin der Reihe Jazz + Kunst des Enjoy Jazz Festivals und dem Zusammenschluss der Unesco Cities of Music sowie Gründerin der Plattform THE:ARTIST, einem digitalen Raum für Artikel und Interviews mit Künster*innen, Forscher*innen und Kurator*innen zur Zukunft der Kunst und Kunstwahrnehmung in Bezug auf Intersektionalität, Diversität und Dekolonisierung. Maxi Broecking lebt mit ihrer Familie in Berlin.