W H O • I S • A F R A I D • O F • A R T
DECOLONIzATION | DIVERSITY | DEFRAGMENTATION

The Art:Ist

THE ART:IST ist eine digitale Plattform und ein Thinktank für  einen neuen Blick auf Kunst, Kunstgeschichte und die Zukunft der Kunst in Bezug auf Intersektionalität, Diversität und Dekolonisierung. Gegründet von Maxi Broecking.


BLOG

WILLIAM POPE. L: "BETWEEN A FIGURE AND A LETTER - CONTRAPTION, SKIN SET DRAWINGS, SMALL CUP", Schinkel Pavillon Berlin, Kurator Dieter Roelstraete

Maxi Broecking

Portrait William Pope. L: Peyton Fulford

Bekannt geworden mit der Performance-Serie Crawls" seit den 1970er Jahren, thematisiert der Dramaturg, Dichter und Künstler William Pope. L in satirisch überspitzten Performances, Installationen, Schriften und Zeichnungen strukturelle Diskriminierung marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht und Klasse. Seine Arbeiten erzeugen Unbehagen und Scham. Für den Berliner Schinkel Pavillon hat Pope. L seine Installations-Performance "Contraption" konzipiert - ein Begriff, der für eine Maschine oder ein Gerät steht, das unnötig kompliziert erscheint und oft schlecht gebaut oder unsicher ist. Diese, vorgeblich nach einer simplen Bauzeichnung von Pope. L gestaltete, raumgreifende Maschine schreddert Architektur-Holzmodelle, welche dem Schinkel Pavillon, dem Humboldtforum und der Neuen Wache nachempfunden sind, während die Besucher*innen aus dem Fenster parallel die Originalbauten sehen können, die für die imperiale, koloniale Machtästhetik Preußens und des deutschen Kaiserreiches stehen. Gebaut  in einer Zeit, in der, parallel zu kolonialer Unterdrückung und eines konstruierten Herrschaftsanspruchs, die Gedanken des Humanismus entwickelt wurden. Gleichzeitig interagieren Schauspieler*innen nach einem vorgegebenen Handlungsablauf, angelehnt an die Kurzgeschichte "Forlesen" des SciFi-Autors Gene Wolfe, mit der Maschine und lesen Pope. Ls Gedicht „Between a Figure and a Letter“ vor: Von „Zuwanderungsideen, herausgekrochen aus dem Arsch der Zeitgenossen“ und vom „dozentiellen“ (Kofferwort aus Dozent und essentiell) Gehabe und der „kalkulierten Ignoranz“ der „Schinkelianer“.


ARTICLES

Grundsätzlich das Absurde sehen

Das Münchner Haus der Kunst zeigt eine Werkschau der 86-jährigen Joan Jonas. Ein Gespräch über ihre Anfangszeit in New York.

Joan Jonas während ihrer Performance „They Come to Us Withoug a Word II“ 2015 in Venedig
Foto: Moira Ricci, VG Bild-Kunst, Bonn 2022

taz: Joan Jonas, Sie sind gerade 86 Jahre alt geworden und machen seit 60 Jahren Performances. Als Sie damit begannen, waren Sie eine der Ersten, die mit verschiedenen Medien und Aufführungspraktiken experimentierten. Wie erinnern Sie sich an die Anfangszeit?

Joan Jonas: Ich habe in den 1950er Jahren Kunst studiert und zuerst als Bildhauerin gearbeitet. Als ich Anfang der 1960er Jahre nach New York kam, suchte ich nach neuen Ausdrucksformen, einer eigenen Sprache. Wir lebten in SoHo, wo in dieser Zeit sehr viele kreative Persönlichkeiten zusammenkamen. Künstler*innen, Tänzer*innen, Komponist*innen, Filmschaffende. Wir waren befreundet und haben miteinander gearbeitet. Auch Richard Serra hat damals Performances gemacht, mit der Musik von Philip Glass. Steve Reich war dabei und die Minimalisten. Es gab da noch keinen Namen für das, was wir taten, wir probierten uns aus.

Mutierte Klischees

Die Kunst des Afroamerikaners Arthur Jafa ist unbequem und politisch. Im südfranzösischen Arles zeigt die private Fondation Luma seine Werke.

Jazz-Saxofonist Albert Ayler in der fotografischen Installation von Arthur Jafa
Foto: Andrea Rosetti, Luma, Arles

Im malerischen provenzalischen Städtchen Arles, wo in der Altstadt im Schatten von Platanen an der Place Voltaire Pastis getrunken wird, zeigt das im vergangenen Jahr offiziell eröffnete Privatmuseum „Luma Arles“ der Schweizer Milliardärin Maja Hoffmann unter dem Titel „Live Evil“ die bisher größte Werkschau des afroamerikanischen Künstlers und Filmemachers Arthur Jafa.

Der 1960 in Tupelo, im streng segregierten amerikanischen Süden, geborene Jafa, dreht Musikvideos für Jay Z und Kanye West und wurde 2016 für seine Videoarbeit „Love is the Message, the Message is Death“ bekannt. Eine Bildcollage aus Comic, Horror und Sci-Fi, Civil Rights und Polizeigewalt.

Jafa konfrontiert darin die weltweite Umarmung Schwarzer Kultur, wie etwa Gospel, Jazz und Hip-Hop, mit ihrer gleichzeitigen Nutzbarmachung durch eine noch immer rassistisch geprägte US-amerikanische Gesellschaft. 2019 erhielt er für seine Videoarbeit „The White Album“ den Goldenen Löwen der Kunstbiennale von Venedig.

„Rasse ist unglaublich immateriell“

William Pope.L lässt gerade im Schinkel Pavillon Modelle ikonischer Berliner Bauten schreddern. Ein Gespräch über Konfrontationen und freudigen Lärm.

taz: William Pope.L, in Ihren Arbeiten verhandeln Sie die Themen Rasse, Geschlecht, Klasse und deren Intersektionalität, die Sie satirisch überspitzen. So zeigte Ihre Installation „A Vessel in a Vessel in a Vessel and So On“ von 2007 einen kopfüber auf einem Podest befestigten Frauenkörper im Piratenkostüm mit entblößten Brüsten und einem Serviertablett. Dazu, anstelle des Kopfes, eine Büste von Martin Luther King Jr. Wie haben Sie die Reaktionen darauf erlebt?

William Pope.L: Tatsächlich nie direkt, obwohl ich natürlich damals die Kritiken dazu gelesen habe. Ein wesentlicher Bestandteil des Feminismus der 70er Jahre war ja diese monolithische Vorstellung davon, was Frauen sind. Da kam die besondere Situation Schwarzer Frauen nicht vor und das setzt sich wahrscheinlich bis zu einem gewissen Grad auch heute noch fort, wenn man, sagen wir mal, über Transsexualität nachdenkt. Dazu kommt der Klassenaspekt, über den in den USA nicht gern gesprochen wird.
Also wollte ich ...

Wie klingt ein Botticelli?

Der Sound der Farbe: Forschungsergebnisse aus Kanada machen Bilder hörbar. Mit der photoakustischen Infrarot-Spektroskopie werden Kobalt und Ocker zu Klang.

Wie würden die finsteren Bilder Neo Rauch s wohl klingen, wie die apokalyptischen, in grellen Wahnsinn stürzenden Farbstürme des ehemaligen Punkmusikers und Hamburger Hausbesetzers Daniel Richter ? Vielleicht wäre ihre musikalische Entsprechung gerade nicht die wagnerische Dunkelheit oder das zersplitternde Dröhnen eines Destruction Riffs des Metal-Helden Chuck Schuldiner . Vielleicht erinnert der Klang der Bilder an die schmerzhafte Schönheit des Picasso -Solos von Coleman Hawkins, an das weinende Altsaxofon von Ornette Coleman oder Peter Brötzmann in Lonely Woman , oder an die samtig-raue Stimme von Billie Holidays , wenn sie in Strange Fruit über die Opfer der Lynchjustiz singt.

Das Mädchen aus Memphis

Annie Leibovitz hat in ihrem Buch American Music ein sehr persönliches Portrait Amerikas entworfen. Die Bilder der Fotografin sind noch bis Anfang April in Berlin zu sehen. Fünfzehnte Folge unserer Kolumne über Begegnungen mit Musik

Ein kleiner MP3-Spieler birgt die langsame und tiefe Stimme von Annie Leibovitz. Sie erklärt ihre Ansichten Amerikas, Portraits von Musikern und Aufnahmen von Landschaften, Häusern und Innenräumen. American Music heißt das Projekt; es entstand auf einer zweijährigen Reise durch den Süden der Vereinigten Staaten. Im Mississippi-Delta sah sie die Quelle der amerikanischen Musik. Einige der Fotos sind jetzt noch bis Anfang April in Berlin zu sehen. Dann geht die Ausstellung, die in den vergangenen drei Jahren um die Welt reiste, wieder zurück in das Archiv der 57-jährigen Fotografin. Wann die Fotos dann wieder öffentlich zugänglich sein werden, ist ungewiss.

Stolz und verletzlich

Eine Frau hält schützend die Hände vor ihr Geschlecht. Zu sehen ist nur diese Geste sowie eine über den Oberschenkel verlaufende breite Narbe. Die Fotografie „Aftermath“ aus Zanele Muholis erster Serie „Only Half the Picture“ von 2004 zeigt Trauma und Schmerz einer Überlebenden der immer noch gängigen sogenannten „korrektiven“ Vergewaltigungen, um queere Sexualität zu „heilen“ und gleichzeitig vor den Folgen zu warnen.

Zanele Muholi, geboren 1972 in Umlazi, einem Townshio von Durban, und überwiegend dort lebend und arbeitend, bezeichnet sich selbst als „Visual Activist“.

Frau im Flügel

Angelschnüre durch die Saiten ziehen, ohne dem Steinway zu schaden: Lyrische Töne der Berliner Klangforscherin Magda Mayas

Zuerst ist da das Gefühl, irgendwo im Nirgendwo gelandet zu sein an diesem regnerischen Berliner Samstagabend. Abseits des hippen Mitte-Getümmels mit seinen Cafés und Bars, in einer Wohngegend in Weißensee, findet sich auf einem Hinterhof das Studioboerne45. Hier also treffen sich viele Musiker aus der lebendigen Improvisationsszene der Stadt. Hier nehmen sie auf oder geben ein Konzert.


ABOUT

MAXI BROECKING

Maxi Broecking (* 1969 in Berlin) ist als Journalistin für Die Zeit, Der Tagesspiegel, Taz, Kunstzeitung, Fono Forum, Jazz Thing, RBB und Byte FM sowie THE:ARTIST zu den Themen Jazz, Improvisierte Musik und Zeitgenössische Kunst tätig. Ihre Jazzkolumne für Die Zeit war für den Grimme Online Award nominiert. Für die Columbia University, New York, war sie Referentin für das Symposium "Jazz in the Global Imagination: Music, Journalism and Culture" sowie Referentin für die internationalen Konferenzen „Lost in Diversity – A Transatlantic Dialogue“ und „Vision, Perception, Friction: How Jazz became Art and Attacked“ am Heidelberg Center for American Studies, Heidelberg. 2013 stellte Broecking der Berlin Improvisation Research Group BIRG ihre Forschung über Jazz, Improvisierte Musik und Kunst vor. Maxi Broecking ist Mit-Gründerin und Inhaberin des Broecking Verlags | Creative People Books. 2021 moderierte sie das Intersektionalitätspodium „Macht und Identität“ im Nationaltheater Mannheim. Seit 2021 ist sie Kuratorin der Reihe Jazz + Kunst des Enjoy Jazz Festivals und dem Zusammenschluss der Unesco Cities of Music sowie Gründerin der Plattform THE:ARTIST, einem digitalen Raum für Artikel und Interviews mit Künster*innen, Forscher*innen und Kurator*innen zur Zukunft der Kunst und Kunstwahrnehmung in Bezug auf Intersektionalität, Diversität und Dekolonisierung. Maxi Broecking lebt mit ihrer Familie in Berlin.